Zettelkasten

Der Raub – wie man ein praktisches Buch verarbeiten kann

Wer die zweckrationale Leseweise nicht beherrscht, verschwendet viel Zeit und Energie.

Nicht jedes Buch sollte man auf die gleiche Weise verarbeiten. Ein Roman enthält andere Elemente als ein Sachbuch. Doch ebenso gilt das eigene Interesse zu berücksichtigen. Manche Bücher lesen wir beispielsweise rein wegen dessen nützlicher Informationen. Dies fordert einen effizienten und selektiven Lesemodus.

Die Frage ist nun: wofür selektieren wir eigentlich?

Bild von Nel Botha auf Pixabay

Action Item-Marginalien (AIM)

Wie wollen wissen, was wir warum tun sollten. Wir selektieren für Action Items. Action Items werden traditionell als Aufgaben oder Projekte verstanden. Aufgaben definieren Handlungen, die uns einem gewünschten Ergebnis näher bringen. Projekte definieren das gewünschte Ergebnis in der Welt.

Ich füge noch zwei weitere Typen von Action Items hinzu:

Ablaufvorlagen (Workflows) definieren Lösungswege für Typen von Aufgaben und Projekten. Beispiel: Die Ablaufvorlage zum Schreiben eines Blogposts (“Ideen sammeln, Gliederung schreiben, Gliederung auf bestimmte Eigenschaften prüfen, Erstentwurf verfassen, Entwurf überarbeiten, mit Illustrationen ausstatten, veröffentlichen”).

Ergebnisvorlagen (Templates) definieren Ergebnisformen von Aufgaben und Projekten. Beispiel: Vorlagen für Trainingspläne (“Aufwärmen, Hauptübungen, Nebenübungen, Ergänzungsübungen, Abwärmen”)

Ich verwende dafür die folgenden Marginalien, also Markierungen am Seitenrand in Büchern beim Lesen:

  • = Mache daraus eine Aufgabe
  • = Information
  • R = Etwas zum reflektieren
  • TL = Ein Template oder “Mach ein Templates daraus”
  • WF = Ein Workflow oder “Mach ein Workflow daraus”

“Zielorientiert” heißt: Ziele sind definiert

Ich habe beispielsweise Primal Branding gelesen. Primal Branding ist ein dünn geschriebenes Buch über die Gestaltung einer Marke.

“Dünn geschrieben” heißt, dass die Action Items und harten Informationen in Erzählungen und Anekdoten eingebettet sind. Aber es hat eine gute Struktur, die sich im Inhaltsverzeichnis widerspiegelt. Mein Eindruck ist, dass dieses Buch von und für Menschen geschrieben ist, die sich mit Leidenschaft und Interesse dem Thema “Marke” und “Marketing” widmen. Ich tue das nicht. Daher ist mein Interesse an Nebeninformationen gering.

Ein umgekehrtes Beispiel wäre meine Lektüre von Beagles Das letzte Einhorn. Mich hat gewundert, dass jemand geäußert hat, dass die Verbindung zwischen dem Dorf und dem Fluch des Schlosses von König Haggard überflüssig, von der Handlung abgelenkend, und ihr sogar abträglich war. Doch ich habe mich für das Buch nicht wegen seiner Handlung, sondern wegen seiner meisterhaften Bearbeitung der psychologischen Ebene von Märchen begeistert. Mein Gegenüber hat dagegen das Buch als handlungsgetriebene Geschichte gelesen.

Die Beziehung zwischen dir und dem Buch bestimmt die Weise, in der du das Buch lesen und später verarbeiten solltest!

Der Akt des Lesens muss das Leseziel widerspiegeln

Lesen dauert Zeit. Das heißt, dass wir berücksichtigen sollten, wie wir diese Zeit verbringen. Lese ich ein Buch über ein Thema, an dem ich nur aus zweckrationalen Gründen interessiert bin, will auf schnellstem Weg genau diejenigen handlungsrelevanten Wissensbausteine und Action Items identifizieren und auf eine Weise aufbereiten, dass ich sie effizient in meinem Zettelkasten verarbeiten kann. Lese ich jedoch ein Buch, dessen Thema ich mag, ergibt es Sinn, mehr Zeit mit der Lektüre zu verbringen.

Einer der typischen Fehler beim Lesen ist es, diese beiden Motivationen zu vermischen. Meiner Erfahrung nach trifft dies besonders bei Büchern im Bereich der Selbstentwicklung zu. Es gibt beispielsweise eine Klasse von Büchern, die nichts weiter machen, als eine Kernaussage mit unzähligen Anekdoten und Anschauungen zu illustrieren. Häufig wird jedes Kapitel mit einer Geschichte eingeleitet, kurz von einem recht oberflächlich recherchiertem Block von sachlichen Erläuterungen unterbrochen (z.B. am Zitieren aus zweiter Hand zu erkennen), um dann wieder zurück zur Geschichte zu kehren. Die gesamte Lektüre des Buchs liefert nur wenige Action Items. Solche dünn geschriebenen Bücher liefern wenig Umsetzbares pro Seite. Liest man solche Bücher zum Genuss, verfolgt man immerhin sein Ziel, wenn man das Buch Wort für Wort liest. Wenn man jedoch an etwas Umsetzbarem interessiert ist, sollte das Lesen als möglichst effizientes Suchen nach Wissensbausteinen und Action Items praktiziert werden.

Genau das habe ich bei Primal Branding gemacht. Ich habe es nicht gründlich gelesen. Wenn ein Absatz eine Anekdote eingeleitet hat, habe ich ihn nur überflogen. Nach den ersten paar Dutzend Seiten hatte ich ein gutes Gefühl dafür, wann der Autor tatsächlich einen Sachtext abgeliefert hat und wann er lediglich eine Geschichte erzählt hat.

Man könnte das Lesen als die Markierung von Vorprodukten verstehen, die ich zu Action Items und ihren Hintergrundinformationen verarbeite.

Entscheide auf Basis deiner Motivation, wofür du das gelesene Buch verwenden wirst

Der bloße Akt des Lesens ist die oberflächlichste Art der Verarbeitung von Texten. Auch das Markieren von Passagen und Setzen von Marginalien hilft nicht viel, die Verarbeitungstiefe zu erhöhen.

Wenn ich mit der Verarbeitung des Buchs Primal Branding fertig bin, möchte ich bei folgenden Ergebnissen landen:

  1. Einen thematischen Strukturzettel über den Aufbau einer Marke.
  2. Je ein Strukturzettel über die Marke “Zettelkasten” und die Marke “ME-Improved”.
  3. Zwei Projekte für den Aufbau der Marke. Eines für “Zettelkasten” und eines für “ME-Improved”, die ich Aufgaben bestücke, die in der Theorie des Primal Branding begründet sind.
  4. Verbesserungen einiger Templates zum Schreiben von Inhalten.

Primal Branding hat eine gute Struktur. Daher muss ich mir beim Lesen keine Strukturierungshilfe (z.B. ein eigenes Inhaltsverzeichnis) erstellen. Ich verlasse mich auf die Struktur des Buchs beim Erstellen des thematischen Strukturzettels über den Aufbaue einer Marke.

Prinzipien, Methoden, Werkzeuge und Ressourcen für die Praxis

Bereite deine Lektüre mit den folgenden Fragen vor:

  • Entscheide, ob du das Buch genießen willst oder ob es nur Mittel zum Zweck ist. Nur wenn du deine Motivation bei der Lektüre klar verfolgst, holst du das Beste aus deiner Zeit heraus.
  • Lege fest, was das genaue Ergebnis deiner Lektüre sein soll. Je genauer deine Vorstellung davon ist, was du aus dem Zwischenprodukt des gelesenen und durch Markierungen vorverarbeiteten Buchs herstellen willst, desto zweckmäßiger kannst du deine Lektüre gestalten. Manchmal musst du allerdings deine Pläne während der Lektüre ausarbeiten.
  • Erstelle eine kurze Liste von möglichen Publikationen und konkreten Projekten, die von der Lektüre profitieren würden. Wenn dein Zettelkasten kein Liebhaberprojekt sein soll, solltest du niemals seine Rolle als Werkzeug und Zwischenstation zu deinen eigentlichen Zielen aus den Augen verlieren. Man liest für die Verzettelungsfähigkeit des Buchs. Man verzettelt zum Verstehen, Publizieren und Handeln.
  • Benutze Marginalien, die Action Items kennzeichnen. Das gelesene und mit Markierungen versehene Buch dient dir als Werkzeug, um Action Items zu generieren. Genau dafür dienen die Marginalien im Buch. Benutze also handlungsorientierte Marginalien.

Umsetzung am Beispiel von Primal Branding:

  • Zweck der Lektüre: Mich interessiert der Inhalt persönlich nicht. Ich lese solche Bücher, weil ich sie lesen muss, um unternehmerisches Wissen aufzubauen. Das Buch ist reines Mittel zum Zweck.
  • Das Ergebnis der Lektüre: Das Ergebnis der Lektüre soll die Vorbereitung dazu liefern, dass ich mir a) ein erstes Verständnis davon erarbeite, wie eine Marke funktioniert, b) eine Reihe von Aufgaben, deren Erfüllung zu einer besseren Darstellung der Marken von Zettelkasten.de und me-improved.de führen und c) Workflows und Templates für Marketingprojekte entstehen.
  • Konkrete Projekte:
    • Im Zettelkasten: Verbesserung der Strukturzettel “Marke Zettelkasten”, “Marke ME-Improved”, “Inventar für einen Artikel erstellen”
    • In der Aufgabenverwaltung: Projekt “Erstelle Plan für Markenverwaltung” und “Next Level Marketing Mensch werden”. Verbesserung von Templates “Artikel mit Übersetzung” und “Artikel mit Video”

Abschließende Worte

Früher habe ich alle Bücher gelesen, weil ich etwas lernen wollte. Für einen Teil meiner Bücher bedeutete das Zeitverschwendung. Bücher wie Primal Branding lese ich nun mit einer besseren Zielsetzung: Ich suche nicht nach Wissensbausteinen, sondern nach sinnvollen Aufgaben. Ich lese solche Bücher also nicht nur für meinen Zettelkasten, sondern auch für mein Aufgabenmanagementsystem.


Christians Kommentar: Als ich mich zu Beginn meines Studiums bemüht habe, Lesen zu lernen, habe ich nicht recht verstanden, was man besser machen kann als von vorn bis hinten jedes Wort zu lesen und dabei möglichst schnell zu werden. Das brachte mir aber nichts. Schneller das Falsche lesen verbessert den Durchsatz ein bisschen. Ein spezifisches Ziel zu erfüllen und dafür Werkzeuge wie die AIM’s zu finden kann die Effizienz hingegen um geschätzt eine Größenordnung steigern! Auf die Erkennung bestimmter Schemata hin zu lesen, wie Luhmann das in “Lesen Lernen” formuliert hat, hat den Prozess für mich absolut verändert – und verbessert.


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