Zettelkasten

Feynmans 12 Lieblinge – Oder: Wie jeder genial sein kann

Du kannst genial werden. Du musst nur clever sein und hart arbeiten.

You asked me if an ordinary person by studying hard would get be able to imagine these things like I imagine. Of course! I was an ordinary person who studied hard. Quelle

Es gibt einen guten Grund, weshalb Feynman eine Legende ist, über den kaum jemand schreibt: Feynman war ein Genie mit einem banalen IQ von 125.1 Sein Gehirn, die Hardware seines Denkens, hat scheinbar nicht die Voraussetzung für Genialität.

Feynmans Genie war ihm nicht in die Wiege gelegt, er hat es sich hart erarbeitet. Feynman ist eine Legende, weil er uns gewöhnlichen Menschen nicht nur die Hoffnung gibt, weit über uns hinauszuwachsen. Er gibt uns sogar eine Reihe von Werkzeugen, wie wir uns ein Stück Genialität erarbeiten können. Feynman betont die harte Arbeit. Doch ich glaube, dass man seine Cleverness anerkennen muss.

Quelle: Wikimedia Commons: 1959, The Big T (yearbook of California Institute of Technology)

Was meine ich mit Cleverness? Salopp gesagt ist Cleverness der kluge Einsatz des Verstandes. Die nachfolgende Anekdote zeigt wunderbar den Unterschied zwischen Intelligenz und Cleverness:

Die USA und die Sowjets haben beim Wettlauf zum Mond festgestellt, dass ihre Kugelschreiber nicht ohne Schwerkraft schreiben. Die USA hat einen Kugelschreiber für 10 Millionen Dollar entwickelt, der das schafft. Die Sowjets haben Bleistifte genommen.2

Feynman hatte nicht nur eine Methode des Verstehens, die nun sogenannte Feynmantechnik. Er hatte ein cleveres System, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, geniale Einfälle zu haben: Die 12 Lieblingsprobleme. Nassim Taleb wäre von dieser Technik begeistert. Sie benutzt nämlich Antifragilität als Mechanismus.

Was ist die Methode der 12 Lieblingsprobleme?

Diese Technik ist eine weitere Demonstration von Feynmans Genie. Sie ist nämlich äußerst simpel und effizient:

  1. Pflege eine Sammlung von 12 Lieblingsproblemen.
  2. Wann immer Du etwas Neues lernst, prüfe, ob es dir bei einem Deiner 12 Lieblingsprobleme hilft.

Richard Feynman was fond of giving the following advice on how to be a genius. You have to keep a dozen of your favorite problems constantly present in your mind, although by and large they will lay in a dormant state. Every time you hear or read a new trick or a new result, test it against each of your twelve problems to see whether it helps. Every once in a while there will be a hit, and people will say, “How did he do it? He must be a genius!”3

Das ist alles!

Ein Teil der Genialität liegt in der Einfachheit dieser Technik. Der andere Teil der Genialität ist liegt in der Nutzung von Antifragilität.

Wie Antifragilität Genialität erlaubt

Antifragilität ist ein Begriff, der von Nassim Taleb geprägt wurde. Er hat ihm sogar sein Hauptwerk4 Antifragilität5 gewidmet. Antifragilität ist im Kontext von drei möglichen Beziehungen zu Zufälligkeit und ultimativ Zeit am Besten zu verstehen:

Es gibt Dinge, für die Zufälligkeit und Zeit ein negatives Risiko sind. Eine Vase kann zum Beispiel nur verlieren, wenn sie mit Zufälligkeiten konfrontiert wird. Spielende Kinder sind niemals gut für sie. Je länger die Vase existiert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Existenz ausgelöscht wird. Sie ist fragil.

Das Gegenteil von Fragilität ist aber nicht Robustheit im Sinne einer bloßen Widerstandskraft oder Gleichgültigkeit gegenüber Zufälligkeiten und Zeit. Der Warnhinweis auf einem Paket “fragil” ist die Anweisung: Nicht hinwerfen, nicht schütteln. Es heißt schlussendlich: “Möglichst wenig anfassen”. Das Gegenteil ist aber nicht “Mach, was Du willst!”. Es wäre die Anweisung, das Paket absichtlich hinzuwerfen, durchzuschütteln und möglichst viel damit zu hantieren. Erst das ist das Gegenteil von Fragilität.6 So kommen die drei Begriffe Zustande:

  1. Fragil ist alles, was durch Zufall und Zeit Schaden nimmt.
  2. Robust ist alles, was unbeeindruckt von Zufall und Zeit ist.
  3. Antifragil ist alles, was von Zufall und Zeit Nutzen gewinnt.

Eine Möglichkeit, ein System antifragil zu gestalten, sodass es von Zufall und über die Zeit profitiert, ist, die möglichen Kosten von Ereignissen zu begrenzen, dafür aber die möglichen Vorteile von ihren Grenzen zu befreien. Das heißt, dass das System relativ gut gegen katastrophale Ereignisse geschützt ist, dafür aber von Anastrophen voll profitieren kann.

Genau das ist die Mechanik hinter den 12 Lieblingsproblemen von Feynman: Alles, was wir lernen, wird zur Gelegenheit ein wichtiger Schritt auf die Lösung für uns wichtige Probleme zu sein. Lernen wir etwas Neues, können wir dieses Neue auf seine Nützlichkeit für unsere 12 Lieblingsprobleme hin prüfen. Jedes Durchgehen der Liste kostet uns nur wenig Zeit und Energie (geringe Kosten). Doch jedes Mal haben wir die Chance, einen Riesensprung auf die Lösung zu machen (anastrophale Folgen).

Ohne die 12 Lieblingsprobleme würden uns diese Gelegenheiten wahrscheinlich durch die Lappen gehen. Dieses System garantiert gewissermaßen unsere Chancen, diese Gelegenheiten wahrzunehmen.

Kurz: Die 12 Lieblingsprobleme sind ein cleveres System, das die Wahrscheinlichkeit erhöht, einen genialen Einfall zu haben.

Wie Du Deine 12 Lieblingsprobleme findest

  1. Erstelle eine Liste für die Bereiche Deines Lebens. Diese dienen dir als Rückgrat für die nachfolgenden Überlegungen.
  2. Benutze eine Outline oder eine Mindmap als Kreativtechnik. Du kannst aber auch jede andere Kreativtechnik verwenden. Jetzt gilt es erstmal nur zu produzieren. Sammle alle dir in irgendeiner Form interessant scheinenden Probleme und möglichen Projekte.
  3. Sortiere alles in Gruppen. Versuche Muster zu finden.
  4. Schmeiß alles raus, was Dich nicht begeistert.

Diese Methode ist nur ein Vorschlag! Alle guten Methoden folgen diesen zwei Metaregeln:

  1. Sammle zunächst ohne zu Urteilen. (Kreation)
  2. Siebe dann die Goldstücke aus. (Das Beste ausfiltern)

Zusätzliche Tipps und Tricks

12 ist keine magische Zahl! Es ist nicht wichtig, wie viele Lieblinge Du hast. Es sollten aber keine völlig inaktiven Lieblinge dabei sein.

Nicht alle Lieblinge sind Probleme! Ich formuliere nicht alles als Problem. Ich schreibe beispielsweise an einer Sammlung von Kurzgeschichten, die in einem Gefängnistal spielen. Sie ist auch Teil meiner Liste von Lieblingen. Ich denke, Feynman hat 12 Lieblingsprobleme, weil man als Physiker hauptsächlich Probleme löst. Als Autor löst man allerdings nicht nur Probleme, sondern schreibt auch Texte. Es gibt unterschiedliche Typen von Gelegenheiten, nicht nur Probleme.

Besonders relevante Lieblinge sind Deine Lebensziele! Brauchst Du Hilfe beim Finden Deiner eigenen Lieblinge? Erstelle eine Liste aller Deiner Lebensziele. Welche Deiner gesammelten Probleme und Projekte sind besonders wichtig für Deine Lebensziele? Je wichtiger ein Lebensziel für Dich ist, desto stärker inspirieren Dich Probleme und Projekte, die Dich diesem Lebensziel näher bringen.

Du weißt nicht, was Deine Bereiche des Lebens sind? Kein Problem! Hier ist eine Liste möglicher Zuständigkeiten Deines Lebens:

  • Persönliches
    • Körperliche Gesundheit, Robustheit und Fitness
    • Geistige Gesundheit, Robustheit und Fitness
    • Seelische Gesundheit, Robustheit und Fitness
  • Beruf und Karriere
  • Materieller Wohlstand
  • Heim und Heimat
  • Spiritualität und Glaube
  • Soziales
    • Partnerschaft
    • Familie
    • Freunde
    • Feinde
    • Gemeinschaft

Als Wissensarbeiter hast Du es leicht! Der Bereich “Beruf und Karriere” kann eine große Menge von Lieblingen hervorbringen. Schließlich ist es Dein Beruf ist, Dich mit Probleme oder wissensbasierten Projekten zu beschäftigen.

Wie man die Lieblinge in den Workflow einbaut

Richard Feynman hat die Probleme in seinem Kopf behalten. Ich sehe darin eine mögliche Fehlerquelle. Man kann nämlich auch Wichtiges vergessen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung nur zu gut. Daher halte ich es für besser, wenn man die Lieblinge in den eigenen Workflow einbaut.

Ich baue sie selbstverständlich in den Workflow mit dem Zettelkasten ein:

  1. Wenn ich einen neuen Zettel erstelle, schreibe und verknüpfe ich ihn wie gewohnt.
  2. Anschließend rufe ich per Shortcut eine gespeicherte Suche in The Archive auf.
  3. Ich gehe dann die Zettel meiner Lieblinge durch und schaue, ob der frische Zettel für eines meiner Lieblinge nutzbar ist. Dabei gebe ich mir Mühe, eine Verbindung herzustellen. Diese Mühe trainiert mein divergentes Denken. (Diese Verbindung notiere ich dann auf dem Zettel meines Lieblings)
  4. Anschließend versuche ich die Natur der Verbindung vom frischen Zettel zu verstehen. So trainiere ich nebenbei mein konvergentes Denken.

Meine eigenen Lieblinge sind gerade (2022-12-31) die Folgenden:

  • FAM Valeria
  • FAM Schwangerschaft und Kleinkinder für Väter
  • ZKM Der nootropische Tag
  • ZKM Getting Things Created
  • ZKM Denkwerkzeuge
  • ZKM Mindmapping Software
  • MEI Armdrücktraining
  • MEI Monk mode
  • MEI ME-Improved für Fußballer
  • MEI WODs
  • MEI Übungskatalog
  • D&P Parteiprogramm BAAP
  • ICH Zeichnen lernen
  • ICH Weltenbasteln
  • ICH Enligunon - Das Gefängnistal
  • ICH Lebenswandel mit dem Hund

(Die Titelpräfixe dienen mir zur schnellen Orientierung, FAM = Familie; ZKM = Zettelkastenmethode; MEI = ME-Improved; D&P = Philosophie; ICH = Hobbies)

Wie Du siehst, sind meine Lieblinge nicht nur Probleme. Zu ihnen gehören auch Projekte und Themen. Ich bin eben kein Physiker, der sich hauptsächlich mit Lösungen für Probleme beschäftigt. Ich bin Populärwissenschaftler, Trainer und Hobbyschriftsteller.

Eine weitere Stelle, an denen Du die 12 Lieblinge einsetzen kannst, ist Deine Aufgabenverwaltung. Prüfe, ob dir etwas bei Deinen Lieblingen hilft, wenn Du Deine Inbox leerst.

Zusammenfassung

  • Feynman war clever. Er war so clever, dass er seinen Verstand mit seiner Klugheit überwinden konnte, indem er verstand, wie man denken sollte.
  • Die Feynmanschen Lieblinge sind eine Technik, um die Anzahl der genialen Einfälle zu erhöhen.
  • Sie schafft dies, indem sie die Anzahl der Chancen auf hohen Erfolg mit geringem Einsatz von Zeit und Aufwand erhöht. (Antifragilität)
  • Bau Deine eigene Liste von Lieblingen auf, um von dieser Technik zu profitieren.

Und denk an die optimistische Botschaft, die uns Feynman überbringt: Jeder von uns kann genial sein.


Christians Kommentar: Wenn ich einen neuen Zettel erstelle, weiß ich nicht sofort, wo er hin passen könnte. Ich muss darum darauf achten, diverse Projekte oder Kontexte ganz mechanisch daraufhin zu prüfen, ob der neuer Zettel zu ihnen passt. Sonst vergesse ich diese Projekte auch mal komplett für eine Weile. Das sind verpasste Chancen über die ich mich regelmäßig ärgere. Also: ich muss mehr Chancen schaffen durch einen kleinen, mechanischen Check.

  1. https://www.cicero.de/kultur/iq-tests-intelligenz-der-mythos-hochbegabung/60823 

  2. Die Anekdote ist leider nicht ganz korrekt. https://www.thespacereview.com/article/613/1 

  3. Gian-Carlo Rota (1997): Ten Lessons I Wish I Had Been Taught, Notices of the American Mathematical Society 1, 1997, Vol. 44, S. 22-25. 

  4. Nassim Nicholas Taleb (2012): Antifragile. Things that Gain from Disorder, St. Ives: Penguin Books. S.13, S.14 

  5. Affiliate Link. Ich kriege von Amazon eine kleine Kommission, wenn Du über den Link etwas bei Amazon kaufst. 

  6. Nassim Nicholas Taleb (2012): Antifragile. Things that Gain from Disorder, St. Ives: Penguin Books. S.31/32. 


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